Gespräche zur Fotografie in Bamako und Dakar, 2011-2015

Die Gespräche wurden von einer Gruppe Studierender der Hochschule für Gestaltung 2011 und 2014 von einer weiteren Gruppe von Studierenden der Staatlichen Akademie der bildenden Künste, Stuttgart unter der Leitung von Bärbel Küster geführt.

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Inhalt:

Teil I: Werkkommentare

Emmanuel Bakary Daou / Fatoumata Diabaté / Malika Diagana / Harandane Dicko / Omar Victor Diop / Elise Fitte-Duval / Mamadou Gomis / Angelina Nwachukwu / Amadou Sow / Djibril Sy / Ibrahima Thiam

Teil II: Themen

  1. Zur Fotobiennale in Bamako
  2. Wandel der Zeit. Eine neue Generation
  3. Ziele und Zwecke der Fotografie
  4. Blickwechsel Afrika-Europa, Fotogeschichte

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TEIL I: WERKKOMMENTARE

Emmanuel Bakary Daou

EBD: Ich kann sagen, dass ich Glück hatte: Als ich die Schule beendete begann die Demokratisierung Malis, Zeitungen wurden gegründet und brauchten Bilder, um die Texte zu illustrieren und so bestellten die Leute von Zeit zu Zeit auch Fotos bei mir.

FRAGE: Ist es schwierig hier für einen Fotografen als Mann, Frauen aufzunehmen, und welche Beziehung haben Sie als Fotograf zu ihnen?

EBD: Es ist nicht schwierig mit Frauen zu arbeiten, weil ich da meine Technik habe: Zuerst freundet man sich an, oft spiele ich sogar ein bisschen den Verführer, weil das bei den Frauen meist gut ankommt, wenn du sie wertschätzt. Du schmeichelst ihnen, dann akzeptieren sie dich. Dann erkläre ich ihnen, was ich ungefähr machen will, und zeige ihnen einige Fotos. Das macht sie neugierig und sofort läuft es gut mit den Frauen. Übrigens auch mit den Männern, weil ich den Leuten, die ich fotografiere, immer meine Vorgehensweise erkläre. Ich sage ihnen, das Foto hat eine besondere Bedeutung, es kann die Zeit festhalten, aber auch Botschaften übermitteln und Personen Wertschätzung entgegenbringen. Ich erkläre also den Leuten die Arbeit, bevor ich das Bild mache, und im Allgemeinen stoße ich nicht auf Vorbehalte. So baue ich zunächst ein gutes Verhältnis zu den Leuten auf, bevor ich sie fotografiere.

FRAGE: Glauben Sie, dass Sie als christlicher Fotograf andere Bilder machen als muslimische Kollegen? Haben Sie vielleicht eine andere Sichtweise?

EBD: Ich würde sagen, dass ich als christlicher Fotograf, wenn ich bei Muslimen Bilder mache, Dinge sehe, die ein Muslim nicht unbedingt sieht: Vielleicht spricht mich der Haufen Schuhe an, der da liegt, weil man beim Eintritt in die Moschee die Schuhe nach draußen stellt; … das gehört zu den Dingen, die ich als christlicher Fotograf sehen kann und die ein Muslim womöglich banal findet.

2011

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Serie „Signes des anciens“ (Symbole der Ahnen), 2006

Mein Lieblingsthema sind die Zeichen und Symbole, Ideogramme begeisterten mich sehr früh. Die Heiler ritzten als Erste Zeichen in die Erde und deuteten sie, oder es gibt den Curry: Man wirft das Gewürz und das sagt etwas aus. Von Anfang an faszinierten mich diese Botschaften, die die Leute aus den Zeichen und Symbolen lesen konnten. […] Ich habe mich mit den traditionellen Schriften und Ideogrammen beschäftigt – damit die neue Generation weiß, wo sie herkommt, muss sie auch die alten Traditionen kennen. Wie meine Großeltern, benutze auch ich die Zeichen, um den jüngeren Leuten Botschaften zu geben und ihnen von unserer Herkunft, von unserer Identität zu erzählen.

2011

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Serie „Forgeron“ („Schmied“), 2012-2014

Ich möchte gern zeigen, dass das Wissen der Schmiede vom Vater auf den Sohn seit langer Zeit weitergegeben wird. In Afrika und besonders hier in Mali ist der Schmied hoch angesehen, weil er nach der Legende der erste Mensch gewesen ist und in Besitz des Geheimnisses des Feuers und des Eisens. Im Dorf in Mali, einem Dorf beispielsweise wie Malinké, Mienka, wie Fatmata, Dafi, wie bei mir in GamBambara, gibt es immer einen Hüter des Messers: Es ist das Opfermesser. Und derjenige, der das Recht hat, das Messer zu hüten, ist der, der das Wissen hat und den Geheimbund eines Dorfes am besten kennt. Malische Dörfer sind in verschiedenen Altersstufen organisiert und die letzte erreichst du, wenn du heiratest und ein vollwertiger Mann wirst. Das sind Männer ab 25 Jahren (die Frauen gehören diesem Bund nicht an). Die Tradition verlangt also, dass jemand die Messer hütet, um immer zu wissen, wenn ein Opfer dargebracht werden muss, wenn unheilvolle Mächte oder Schutzmächte des Ortes angerufen werden müssen, wer als Hohepriester des Opfers eingreifen und die Zeremonie vollziehen kann. Solch eine Rolle spielt das Messer in unserem Dorf. […] Die Bezeichnung als Schmied bindet ihn sein ganzes Leben lang an ein Messer. Das Messer kann weh tun, schneiden, durchstoßen und darüber hinaus auch Schutz bieten, denn jemand, der ein Messer hat, ist gegen Angriffe geschützt. Es spielt also gleichzeitig alle diese Rollen: des Schutzes, des Dienstes, des Opfers.

FRAGE: Und das Opfer wird mit diesem Messer vollzogen?

EBD: Ja, nicht nur mit dem Messer, es ist der Mensch, der die althergebrachten Rituale anwendet, die sich entwickelt haben. Jeder hat seine Technik, um die Opfer darzubringen, wenn mit dem Messer einem Tier die Gurgel durchgetrennt wird oder auch ein Huhn getötet – und währenddessen singt man die dazugehörigen Gesänge. Man muss man die richtigen Worte sprechen, mit denen um Verzeihung und Nachsicht gebeten wird, und darum, dass das Opfer angenommen wird. Oft ist dieses Messer das älteste Messer überhaupt im Dorf: von einem Schmied von Hand hergestellt, weil man keine industriellen Messer dafür verwenden will. Das ist ein Messer, das dort seit Jahrzehnten dient, mit dem vielleicht schon das allererste Opfer im Dorf gebracht wurde und das vom Vater zum Sohn oder von Guru zu Guru weitergegeben wurde – je nachdem, das hängt auch von demjenigen ab, der die Gesetze zu diesen Opfern am besten kennt.

FRAGE: Und stellt der Schmied das heilige Messer selbst her?

EBD: Ja gut, heilig wird man es nicht direkt nennen; es ist die Benutzung, durch die es geheiligt wird. Dadurch, dass man geweihte Salben und Sude aufträgt, wird das Messer zu einem geweihten Gegenstand für das Dorf. Das Messer ist aus Eisen, Roheisen, ebenfalls selbst gewonnen, darauf legen sie großen Wert – denn dadurch kann man besser mit den Ahnen in Verbindung treten. Man findet das Eisen nicht weit vom Dorf entfernt, da gibt es ein Loch in der Erde. […] Die Frau des Schmieds ist Töpferin, beherrscht also die Erde, den Ton, aus welchem sie Töpfe, Teller und andere Küchengeräte formt. Auch sie wird respektiert, weil alle zu ihr kommen müssen, um das zu holen, worauf sie ihr Essen anrichten. Schmiede beherrschen normalerweise die Handhabung der Waffen, welche sie herstellen. Sie sind oft große Jäger und Landwirte. Und schließlich stehen sie gut da, weil sie durch ihre Arbeit sehr kräftig werden. So stellen die Schmiede allgemein im Dorf die Macht und die Männlichkeit dar. Schließlich führen die Frauen der Schmiede im Dorf die Beschneidung der Mädchen durch, die Schmiede bei den Buben. Gefürchtet sind sie auch deswegen. Die Schmiede sind aber auch die Künstler-Handwerker des Dorfes, sie stellen Gebrauchsgegenstände her, Kriegswaffen, landwirtschaftliches Gerät und auch die Masken des Dorfes. Auch deshalb sind sie dazu bestimmt, die Hüter der Tradition zu sein.

2014

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Fatoumata Diabaté

In Mali machen alle Fotos, um davon zu leben und jeder will unbedingt ein kleines Studio haben, um Portraits für Personalausweise zu machen. Meine Ausbildung fand allerdings in einem anderen Rahmen statt, denn ich habe eine wirklich professionelle Fotoausbildung. Ich denke, etwas geht hinsichtlich der Fotografie in Mali langsam verloren: Die Leute haben keinen Respekt mehr gegenüber den Fotografen, weil sie nicht gut genug ausgebildet sind – jeder kann fotografieren, aber die Fotos werden halt irgendwie gemacht. Wenn Mali anfangen würde, in die Fotografie zu investieren, könnte ich mir vorstellen mehr für dieses Land zu arbeiten. Aber solange die Fotografie hier banalisiert wird, möchte ich mich angesichts meiner Ausbildung nicht allein in Mali bewegen.

Serie „Mali au féminin“ (Die Frauen Malis), 2009

„Die Frauen Malis“ war ein Auftrag des Musée de Bretagne in Rennes von 2009, welcher im Zusammenhang mit einem Projekt über Frauen stand. Sie haben mich als Fotografin eingeladen, Portraits von Frauen aus Mali zu machen. Das Museum hatte über Verbände, Frauengruppen und Assoziationen bereits Kontakt aufgenommen. Dann habe ich die Frauen in Bamako, Bandiagara, usw. besucht. Das Museum wollte mit dem Projekt die Kontakte zu den Frauenbewegungen halten. Mich hat die große Vielfalt der Frauenbewegung in Mali sehr interessiert, auch als Frau. Ich hatte schon während meiner Ausbildung an einem vergleichbaren Thema gearbeitet, das die „Löwinnen von Makoumin“ hieß, und das Frauen zeigte, die wirklich etwas für Mali getan hatten, die für etwas kämpften.

Serie „Homme en animal“ (Der Mensch als Tier), Bamako 2011

Homme en animal enstand bei einem Projekt von „Regenbogen“, das jedes Jahr an Malischen Schulen über Märchen und Theater organisiert wird. Die Lehrer erarbeiten mit den Kindern Märchen, und die Kinder setzen das dann in Theater um. Die Schüler stellen selbst ihre eigenen Masken her, auch die Taschen, die sie tragen. Nach den Erzählungen wie „es war einmal eine Hyäne, es war einmal ein Kaninchen…“ verkleideten sie sich als Kaninchen oder Hyäne und schlüpften in die Rollen der Tiere. Deshalb habe ich das Projekt „Der Mensch als Tier“ genannt. Sie haben ihre Szenen gespielt und ich habe danach nebenan meine Serie gemacht, weil man auf der Bühne immer die Mikros gesehen hätte. Ich habe mich besonders für den Akt des Verkleidens interessiert und für das, was sie auf der Bühne sagen wollten. […] Es sind traditionelle Märchen, die wir als Kinder auch gehört haben. Damals besuchten wir unsere Großmütter und Großväter im Dorf und die erzählten uns Geschichten und nach den Ferien kehrte man mit diesen Erzählungen zurück und trug sie weiter in sich bis zum Ende der Jugend. Sie enthalten stets Ratschläge, denn die Märchen haben eine Moral.

Serie „L’homme en objet“ (Der Mensch im Objekt), Bamako 2013

Die Idee der Serie bezieht sich auf die Märchen, die ich in meiner Kindheit erzählt bekommen habe, und die mich auch heute überall begleiten. Es sind Geschichten, die – wie Senghor sagte – den schwarzen Kindern gewidmet sind; Geschichten, die ich im Kopf habe. Außerdem arbeite ich mit Objekten, wieder andere Ideen kommen mir beim Tagträumen. Das sind hier einfachere Portraits, die aber für mich auch die Geschichte der wunderbaren afrikanischen Masken widerspiegeln, die heute in den Museen aufbewahrt werden.

Die Masken in einigen meiner Fotos sind von Jugendlichen aus Müll oder gefundenen Gegenständen, andere von Künstlern oder kunsthandwerklich gemacht. Die Jugendlichen setzen die Masken auf und nehmen so mit den Geschichten, die sie mir erzählt haben, und den bekannten Märchen eine Beziehung auf. Es gibt also in dieser Serie eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. […] Geschichten, Träume, die aber wie Lektionen des Lebens sind, um uns in der Zukunft zu leiten: „Was erwartet uns? Was kann passieren? Was war die Verbindung zwischen Mensch und Tier? Und welche zwischen Mensch und Objekt?“ Das alles wird uns vermittelt, um uns Objekten, Tieren, Bäumen und der Natur nahe zu fühlen.

Es gibt zum Beispiel ein Feen-Märchen mit einem Waisenkind, das von seiner bösen Stiefmutter adoptiert wurde. Beim traditionellen Dorffest bekamen alle Kinder neue Kleider und neue Frisuren, damit sie schön wären. Nur die Stieftochter bekam nichts dergleichen und deshalb war sie traurig. Ihre Stiefmutter schickte sie mit einer Aufgabe in den Wald, weinend ging sie los. Die Fee sah sie von weitem kommen und verwandelte sich in einen Menschen, damit das Waisenkind sich nicht vor ihr fürchtete. Gefragt, was es bedrücke, erzählte das Waisenkind ihr die Geschichte. Die Fee nahm sie mit zu sich und flocht ihr das Haar zu Zöpfen. (Das ist das Foto mit langen Zöpfen und dem Haarschmuck am Kopf.) Die Fee frisierte und verwandelte sie: Danach kleidete sie sie traditionell ein, so dass das Mädchen sehr glücklich war. Aber zuhause bekam sie Angst davor, wie ihre Stiefmutter reagieren würde. Deshalb maskierte sie sich mit ihren Zöpfen. – Das ist eines der Märchen.

Serie Sutigi: À nous la nuit (Uns gehört die Nacht), Bamako, Brazzaville, Dakar 2012-2014

Die Jugendlichen auf den Fotos sind der Spiegel meiner eigenen Jugend. Sie sind so aufgewachsen wie ich, wie überall, und die Fotos sind wie Erinnerungsfotos für mich. Es sind also keine jungen Prostituierten, es sind Jugendliche, die sich herausgeputzt haben: Man zieht sich abends zum Ausgehen etwas Besonderes an, man fühlt sich wohl… In anderen Ländern kann man die gleichen Kleider auch tagsüber anziehen, aber bei uns ist es nachts entspannter. Ich habe diese Serie in Brazzaville (Congo) und in Südafrika weitergeführt. Dort sind Jugendliche sowohl tags als auch nachts freier in ihrer Kleidung. Das ist eine Frage der Kultur, der Religion, die in Mali eine große Rolle spielt.

Das nächtliche Licht sorgt für Stimmung und nachts ist man gut drauf. Manchmal zieht man sich schön an, obwohl man an keinen besonderen Ort geht, man besucht lediglich Freunde oder geht kurz vor die Tür... Wie bei einem meiner Fotos mit einem Mädchen, das mit ihrem Freund auf dem Motorrad sitzend in die Kamera schaut. Einige sind Freunde von mir, andere kenne ich nicht genauer. Ihre Zufriedenheit, schön angezogen zu sein, inspiriert mich, dann fotografiere ich sie in ihrem Zimmer, wenn sie abends ausgehen wollen oder bei ihren Freunden. Ich spreche mit ihnen und erkläre, was ich vorhabe. Ich frage sie, ob es ihnen gefällt und mache ein Foto. Natürlich gefällt es ihnen, gut angezogen fotografiert zu werden, sie vertrauen mir und das erleichtert meine Arbeit.

Serie „Studio de la rue“ (Das Straßen-Fotostudio), seit 2013
Hier in Mali, wie überall auf der Welt, kennt jeder die alten Fotos seiner Eltern, und jeder hat sich schon mal über seine Eltern lustig gemacht und gesagt: „Ha, wart ihr altmodisch, und ihr habt so ernst geschaut!“ Aber ich finde in den Fotos auch viel Lebendigkeit. Jeder kam ganz bewusst, um sein Foto machen zu lassen. Die alten Fotos zeigen auch das wahre Ich der Leute. Deshalb möchte ich das auch genau so aufnehmen, dass sich die Leute wie in den 50er oder 60er Jahren fühlen. Und es geht auch darum, sie für solche Erinnerungs-Fotos zu interessieren: Ich ahme zwar die 50er Jahre nach, aber zwangsläufig spiegelt sich darin auch unsere eigene Zeit wider, denn die Aufnahme spielt sich ja in unserer Zeit ab. Man merkt, dass es nicht eine Person aus früheren Zeiten ist. […] Für sie ist das witzig, das gefällt ihnen, an dieser Erfahrung zu teilen und wie die Eltern in ihrer Zeit auszusehen. Und ich weiß, dass sie eines Tages diese Fotos ihren Kindern zeigen werden, und so werden es auch Fotos für die Zukunft.

Ich habe mir gesagt: Musiker schöpfen stets aus ihrem Repertoire – warum sollten wir Fotografen das nicht auch tun? Das ist der Grund warum ich mich damit beschäftigen und meine eigenen Erfahrungen machen möchte. Ich weiß noch nicht genau, wohin das Ganze führt, aber ich probiere es aus. Es geht mir nicht um Modenschau, sondern wirklich um das Fotostudio in den 50er oder 60er Jahren.

Ich habe drei verschiedene Stoffe. Oft lasse ich den Leuten selbst die Wahl. Ich habe ein paar Requisiten, aber sie können natürlich auch selbst welche mitbringen, auch wenn ich vorher schon eine Idee hatte. Ich habe viele Fotos von Malick Sidibé und Seydou Keïta gesehen. Malick sagt, man solle lächeln, aber ich sage bei meinen Fotos den Leuten immer, dass sie nicht lächeln sollen, denn in den 50er Jahren lächelte man kaum. Im Studio war man konzentriert und ernst. Ich mag es, wenn sich die Leute daran halten. Das wird sich ändern. Jetzt gerade ist es das Studio der 50/60er Jahre, später wird es dann das der 70/80er werden und das Konzept wird sich mit den Jahren weiterentwickeln. Dann werde ich auch die Leute bitten zu lächeln, aber im Moment sollen sie ernst wirken.

Jeder kann kommen und sich fotografieren lassen. Das, was in meiner Serie besonders wichtig ist, sind die visuellen Vermischungen und Querbezüge, die heutigen Verbindungen zwischen dem Westen und Afrika. Für mich ist das nicht nur ein afrikanisches Thema, sondern ein globales.

FRAGE: Verhalten sich die Weißen anders vor der Kamera?

FD: Nein, auf keinen Fall, sie lassen sich ebenso vom Fotografen anleiten, fragen mich, was sie tun sollen. Ich erinnere mich an einen Typen, der sich die Haare zurechtmachte und eine Zigarette im Mund hatte. Er wollte sie ausmachen, aber ich sagte: „Nein, mach deine Zigarette nicht aus“, weil er genauso gekommen war. Ich sagte: „Lass’ sie an und beweg’ dich nicht.“ Das gab ein wundervolles Foto – das gefällt auch den Weißen!

Bei den sechs Typen am Strand, da war mein Studio direkt nebenan. Sie trainierten wie immer am Strand, die Jungs. Ich wollte sie nicht sofort überfallen, sie sollten vielmehr merken, dass das Studio auch für sie da war. Ich baute das Studio auf, machte einige Fotos und dann kamen sie zu mir. Sie sagten: „Ah, kann man sich hier fotografieren lassen?“ – „Ja, natürlich, es ist für alle.“ Sie: „Aber wir haben kein Geld.“ Darauf ich: „Erst mache ich die Fotos und wenn ihr dann einen Abzug wollt, bezahlt ihr.“ „Wieviel kostet es?“. „300“. „Ok. Wir haben 200“ – „Kein Problem, ich strecke euch das Geld vor“. Sie haben sich hingesetzt, ich habe ihnen Hüte und Brillen gegeben und das Foto wurde genial. Ich habe ein echtes Strandfoto gemacht, so wie die alten Fotos.

2014

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Malika Diagana

Als ich nach Dakar kam, verglich ich die Situation hier mit der in Mauretanien, wo es im kulturellen Bereich nicht einfach ist zu arbeiten. In Dakar hat mir gleich sehr gefallen, dass hier alles im Aufbruch ist und vor Kreativität sprüht. Mich hat erstaunt, wie viel die Jüngeren hier mit wenig Mitteln erreichen. Mauretanien ist in seiner Mentalität viel verschlossener und die junge Generation wird unterdrückt. Auch die politischen Probleme rufen für Künstler Spannungen hervor. Viele Künstler aus Mauretanien sind in den Senegal ausgewandert, weil Mauretanier Vorbehalte gegenüber der Kunst haben. […] Deshalb bin ich hier in Dakar geblieben, aber mein Ziel ist es, mit meinen ganzen Erfahrungen zu Hause etwas zu verändern. Dort gibt es auch junge Leute, die Fotografie, Film, Graffiti lieben und die gerne tanzen. Wer weiß, vielleicht kann ich in ein paar Jahren etwas Interessantes in Mauretanien machen? Ich bin in den Senegal ausgewandert, weil ich in Mauretanien keine Mauretanierin bin. Meine Mutter stammt ursprünglich aus Kap Verde, sie ist in Saint-Louis geboren und lebt in Mauretanien. Ich möchte die beiden Identitäten in mir nicht verleugnen. Meine Mutter ist Christin, mein Vater Moslem, beides hat mich geprägt. Selbst wenn ich heute Muslimin bin, kenne ich den Katechismus und kann über die Bibel sprechen. Mein Wissen will ich um keinen Preis gegnüber niemandem verleugnen.

Serie Dakar urban life (Urbanes Leben in Dakar), 2013-2014

Graffiti war die erste urbane Kultur, die ich in meine Arbeit integrierte, als ich 2009 in Dakar ankam. Über eine Freundin, die jedes Jahr hierher kam, entdeckte ich das „Festigraff“ in Dakar. Mir hat sehr gut gefallen, dass Graffiti als Kunst sehr nah an den Leuten dran ist. Nach der Portraitserie, sind die Veranstalter erneut auf mich zu gekommen, weil sie ein Projekt über Graffiti im Zusammenhang mit dem Mouvement Fagaru in Dakar [das in der Bevölkerung ein Bewusstsein schaffen will, selbst für Ordnung in den Straßen mitzuwirken] machen wollten. Sie haben mich als Fotografin engagiert und so bin ich in ihre Welt eingetaucht […] Graffiti ist die expressivste Kunst unter den Straßendisziplinen, weil es um schriftliche Botschaften geht. Sie richten sich im öffentlichen Raum direkt an die Leute. Täglich laufen zwischen 2000 und 3000 Personen bis spät abends daran vorbei. Für mich war es ein unglaubliches, grenzenloses Kommunikationsmittel, da sich alles auf der Straße abspielte.

Serie Linguères, 2011-13

Die „Linguères“ sind Frauen, die Anfang des 19. Jahrhunderts lebten und entweder Mütter oder Schwestern von Königen waren. Während der Kolonialisierung wurde die Geschichte der Linguères aus der Region Nder sehr bekannt. Sie haben sich gemeinsam das Leben genommen, um sich Unterdrückung und Vergewaltigung zu entziehen. Damals spielten sie eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft, weil ihre Ehemänner in den Krieg gezogen waren und sie alles in die Hand nehmen mussten. Das waren Frauen „mit Fäusten“, wie man sagte. Zur damaligen Zeit war unvorstellbar, dass eine Frau so viele Entscheidungen trifft. Heutzutage ist man ziemlich frei zu denken und zu tun was man möchte. Wenn man sagt: „Sie sind eine Linguère“, ist das ein wahres Kompliment. Das bedeutet, dass Sie eine Frau mit Prinzipien sind, eine starke Frau und noch schön dazu. Das ist die besondere Geschichte der Linguères von Nder, deren kollektiver Tod gegen alles gerichtet ist, was mit Kolonisierung zu tun hat.

Für mich sind Linguères heute all diejenigen Frauen, die in der Gesellschaft etwas bewirken, besonders im kulturellen Milieu, in dem ich mich selbst bewege. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn es gibt manchmal Leute, die versuchen, die einen abzubringen veruschen von den Dingen, die man tut. Aber die Linguères von heute machen ihre Sachen aus Liebe und Leidenschaft und halten daran fest. Es sind Komödiantinnen, Bloggerinnen, Sängerinnen, Models oder es sind all die Frauen, die noch traditionell in Dörfern leben, die vielleicht 15 Kinder großziehen, die stark sind, und die Dinge so anpacken, wie man sie zu tun hat.

2015

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Harandane Dicko

Meiner Meinung nach ist das Ziel der Fotografie, sich mittels Bildern darüber zu äußern, was man mit Worten nicht zu sagen vermag. Gerade aus diesem Grund ist die Fotografie für mich wichtig. Die Krise von 2012 hat meine Arbeit als Fotograf sehr stark beeinflusst, weil mich familiäre Probleme sehr beunruhigten, und deshalb war ich kaum noch in der Lage überhaupt zu arbeiten. Ein Teil meiner Familie war aufgrund der Übergriffe der Gruppen in den von Djihadisten besetzten Gebiet in Timbuktu geblieben. Ein anderer Teil meiner Familie konnte nach Bamako fliehen. Wir mussten für ihren Unterhalt aufkommen, denn sie ließen all ihr Hab und Gut zurück und das Land war mitten in der Krise.

FRAGE: Welche Mittel gibt es heute in Bamako, um die Fotografie als soziales Mittel bzw. als Kommunikationsmittel zu unterstützen?

HD: Heute gibt es in Mali grundsätzlich kaum noch Unterstützung für die Kunst und speziell für Fotografie. Das Kultusministerium sieht lediglich 0,45% seines nationalen Budgets für Kultur vor und mehr als 80% davon sind für die Funktionsfähigkeit dieses Ministeriums vorgesehen. Sie sehen, es wird nichts für Kultur im Allgemeinen ausgegeben geschweige denn für die Fotografie. Die Europäische Union war der wichtigste Geldgeber für die Kultur in Mali, aber mit der Krise haben sie ihre Finanzierung eingestellt. Die Fotografen in Mali bekommen keinerlei soziale Mittel oder Kommunikationsmittel, zur Unterstützung ihres Berufs. Jeder versucht, sich auf seine eigene Art durchzubringen. 

Serie RETROVISEUR (Rückspiegel), 2013-2014

Für mich als Fotograf ist die Straße ein Ort, an dem wahnsinnig viel geschieht. Deshalb versuche ich die Kontraste der boomenden afrikanischen Städte einzufangen mit all ihren alltäglichen Realitäten. Die afrikanischen Städte haben sich in den letzten Jahren sehr verändert. Immer mehr Leute in Afrika verbringen dort ihre Zeit. Ich habe diese Serie letztes Jahr in Kampala in Uganda angefangen. Meine Idee war, Portraits von afrikanischen Städten mit all ihren Strömen von Bewegungen zu machen. Also mietete ich Mototaxis, um Fotos mit den Rückspiegeln dieser Motorräder aufzunehmen: weil ich so Bewegungen der Menschen auf der Straße einfangen konnte, ohne dass die Betroffenen es merkten. Nur so konnte ich natürliche Aufnahmen machen. Ich habe die gleiche Serie in Nairobi, Lubumbashi im Kongo und in Lagos und Bamako weitergeführt. Das Mototaxi ist eines der wichtigsten Verkehrsmittel in vielen Großstädten Afrikas, weil sich viele Leute damit schnell ohne großen Aufwand fortbewegen können, trotz Gefahren und mangelnder Sicherheit.

Die Rückspiegel der Motorräder geben mir ein vermitteltes Bild, wie auf dem Bildschirm eines Fernsehers. Ich erfasse durch den Ausschnitt meines Fotos verschiedene Elemente der Szenen des alltäglichen Lebens und Portraits. Das Konzept dieser Serie besteht darin, dass ich über das „umgekehrte“ Bild des Rückspiegels versuche, den trügerischen Charakter des Lebens zu zeigen: Das spiegelverkehrte Bild ist vor allem die falsche und verschwommene Seite unseres Lebens, die wir zu beherrschen meinen.

Serie Désaffection (Entfremdung), 2008

Auslöser der ersten Idee war die Neugier, meinen eigenen Körper in einer außergewöhnlichen, verlassenen und von Altersspuren gezeichneten Umgebung zu erfahren. Die Bilder sollten ins Bewusstsein rufen, welche Macht die Zeit auf uns hat und auf die Umwelt um uns herum, denn alles wird ja eines Tages verschwinden.

Ich arbeitete allein und habe dabei natürlich einen Selbstauslöser gebraucht. Die Fotos sind zum Teil in Europa aufgenommen, aber der Ort ist auch nicht das wichtigste dabei. Vor allem sind es Orte, die eine Geschichte oder eine Erinnerung bergen – die von ihrer Zeit geprägt wurden. Ich versuche, die Räume als Ganze in Beziehung zu mir zu setzen, ohne dass ich zwangsläufig im Mittelpunkt des Interesses des Fotos stehe.

Die Titel standen nicht im Vordergrund, denn ich vergab sie je nach Inspiration und Ort, wo ich war. „Gänsemarsch“ (File indienne) zum Beispiel bedeutet, dass mein Doppelgänger und ich sich gegenüberstanden oder im Gänsemarsch gingen – in Wirklichkeit weiß ich nicht, wer jener und wer ich war.

Interpretieren heißt, die Leute über den vergänglichen Charakter dieser alternden Orte anzusprechen. Die Zeit hat eine große Macht über uns. Ich exponiere meinen Körper an diesen Orten, denn ich denke, dass diese Orte auch mit meiner dunklen Hautfarbe verbunden sind. Es ist also auch eine Art, meinen eigenen Körper zu erkunden, Aspekte an ihm, die ich noch nicht kenne und die mich daran erinnern, dass dieser Körper dazu bestimmt ist, eines Tages zu verschwinden, so wie diese verlassenen Orte auch.

2014

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Omar Victor Diop

Es gibt ein Sprichwort das lautet: "Brot wird nicht nur für den Bäcker gebacken", also, warum sollte Kunst nur für Künstler geschaffen werden? Kunst sollte für alle gemacht werden, denn es ist ein soziales Produkt.

In Afrika gibt es alle Arten von Fotorichtung und das ist, denke ich, auch notwendig, damit die Leute sich spezialisieren und Dinge aufzeigen, die sich ändern müssen, das ist auch eine Pflicht, zu dokumentieren. Manche sind darin sehr gut, aber andere vielleicht weniger vertraut mit den schwierigen Umständen. Ich zum Beispiel, als ein in Dakar geborener Senegalese, fühle mich sehr urban, ich kenne nur Dakar. Und das ist ein eigenes Universum von Persönlichkeiten. Zu dieser Gemeinschaft gehöre ich, sie kenne ich besonders gut, und deshalb ist sie mein bevorzugtes Sujet in der Fotografie. Leute, die wie ich ausschließlich über dieses urbane Afrika arbeiten, das weltoffen ist und immer schon war, sind genauso nützlich, wie diejenigen, die ihre Kompetenz, ihre Rechtfertigung und ihr Interesse in den dunkleren Seiten Afrikas finden. Jeder bringt sich mit seinen Interessen eint, entsprechend seinen Möglichkeiten, Inhalte zu erschaffen, die wirken, ob hier auf dem Kontinent oder in der Welt.

Meine eigentliche Arbeit findet vor dem Fotoshooting statt, weil man eine Beziehung zum Modell aufbauen muss. Das ist also nicht nur die Arbeit des Fotografen, sondern es ist eine Teamarbeit. Die Person muss entspannt sein, man muss sie kennen, um zu wissen, wann und wo sie sich besonders wohlfühlt, was fotogen sein könnte, welche Dinge das Modell gerne zeigen möchte. Das ist keine Röntgenaufnahme, sondern Fotografie! In der Regel treffe ich mich vor dem Fotoshooting öfter mit dem Modell, und wir unterhalten uns.

Serie Fashion 2112. Le futur du beau, (Mode 2112. Die Zunkunft des Schönen), 2011/12

Fragen der Umwelt, der Nachhaltigkeit und des Recyclings, werden seit Jahrzehnten ausgiebig behandelt. Ich denke, die Menschen sind inzwischen ein wenig resistent oder abgebrüht gegenüber den herkömmlichen Argumenten, die mit dem Finger auf jemanden zeigen: „Ihr seid Schuld, dass…“ – besonders in Afrika, wo man zu einem sehr „katastrophischen“ Diskurs tendiert. Ich will die Realität nicht leugnen, sondern zeigen, dass man die Menschen einladen kann, über solche Fragen viel spielerischer nachzudenken. Wenn es in Afrika, und vor allem in Westafrika, überhaupt eine Besonderheit gibt, dann ist es ein ausgeprägter Sinn für das Schöne. Selbst Erdnüsse an der Straßenecke präsentiert man so hübsch angeordnet, dass sie zu einer regelrechten Installation werden! Das Auge ist hier gewohnt, alles auf höchst ästhetische Art geboten zu bekommen. Ich fand es interessant, diese Botschaft, als Einladung weiterzudenken, wie wir besser mit unseren Alltagsgegenständen umgehen könnten. Wenn man die Botschaft in eine ästhetische Hülle verpackt, könnte so ein viel breiteres Interesse beim großen Publikum erreicht werden. 

Serie Le studio des vanités (Studio der Eitelkeiten), seit 2013

Es sind Menschen, die durch ihren Optimismus, durch die Qualität und Reichweite ihrer Arbeit versuchen, die Wahrnehmung des Kontinentes wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die Idee war, eine so große Vielfalt wie möglich zu zeigen, weil sie das Gesicht der Städte wie Dakar prägt. Wir haben das alte Paradigma hinter uns gelassen, wonach die Künstler schwarz sind und die Menschen, die das Ganze verwalten, weiße. Nein, das ist nicht mehr der Fall. Betrachtet man Dakar heute, alleine die Fotografieszene: Wir haben Fotografen unterschiedlichster Herkunft, trotzdem sind sie alle Einwohner Dakars, die sich Senegal oder Afrika zum Thema gemacht haben und sich auf klugen Wegen weiterentwickeln. Das versuche ich über die Serie Studio der Eitelkeiten zu vermitteln.

Ganz generell interessieren mich Textilien. Ich denke, wenn es ein Mittel gibt, Kontexte zu vermitteln oder etwas von der Individualität des Fotografierten mitschwingen zu lassen, dann geschieht das eben durch die Wahl der Textilien, deren Herkunft und geometrische Formen.

Bei der Modefotografie denke ich zum Beispiel an Jean-Paul Goude, Annie Leibowitz, Richard Avedon. Was mich immer fasziniert hat, ist ihr Sinn für Dramatik, für das Irreale und Fantastische. Solange es sich um Modefotografie handelt, geht es nicht wirklich darum, dass es echt und kohärent aussieht, sondern es ist vielmehr eine Einladung zum Träumen. Die Fotografie ist ein Moment des Träumens, eine Flucht, das Erhabene.

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Elise Fitte-Duval

Ich neige dazu, ein wenig zu konzeptualisieren, ich betrachte die Welt durch meine Analysen, und gehe dann auf die Suche nach den Fotos, die dazu passen. Bei den Tanzfotos ebenso wie bei den Ringern wollte ich zunächst die Leute kennenlernen und ihre Orte. Ich wollte ihre Arbeitsbedingungen zeigen, aber dann, bei der Bearbeitung des Themas, ist die ästhetische Komponente zum Vorschein gekommen. Es hätte auch etwas eher Dokumentarisches daraus werden können.

Mich interessiert der Mensch in seiner Umgebung – sowohl in den Bildern vom Tanz als auch bei den Bildern vom Ringkampf. Aber dabei war besonders, dass ich beim Versuch, den Augenblick einzufangen, selbst irgendwie in die Bewegung des Fotos und vielleicht sogar ins Innere des Bildes geriet. Das ergibt eine andere Art Foto, weil es darum geht, eine Bewegung festzuhalten. Wenn ich soziale Fakten aufnehme, die nicht den Zug der Bewegung tragen, sondern ein Problem verdeutlichen, dann gehe ich anders heran. Man nimmt sich mehr Zeit, man stellt den Fotografierten frontaler in seine Umgebung. Das erlaubt dem Betrachter und der Person, die das Foto macht, d.h. mir, mehr Abstand zu wahren, und gibt auch dem Porträtierten mehr Spielraum, sich auszudrücken.

Serie Lutte traditionnel (Traditioneller Ringkampf) 2009, Serie Lutte (Ringkampf) 2010

Das alles sind Menschen, die ihre Körper gebrauchen, sei es, um ihre Kunst auszuüben, sei es ihren Sport zu treiben. Im Fall des Ringkampfes ist es jedoch gerade anders als beim Tanz, der hier etwas sehr Heikles ist. Hier von dieser Kunst zu leben, ist ziemlich schwierig, der zeitgenössische Tanz gehört nicht zum gesellschaftlich Gewohnten. Das Ringen dagegen ist fester Bestandteil sozialer Gebräuche im Senegal, die Kämpfer sind hier große Stars und was mich darüber hinaus besonders fasziniert, ist, dass sich der Körper hier in seiner ganzen Pracht darstellt und es so auch erlaubt ist.

In Dakar macht man den Ringkampf, bei dem Schläge erlaubt sind, also eine Spielart des traditionellen Kampfes, wie man ihn in den Dörfern praktiziert, ursprünglich vor allem am Ende der Erntezeit. Die Jungen, die auf den Feldern gearbeitet haben, sind gut genährt und stark, man kämpft um seine Kräfte zu zeigen, ich denke, das gibt es in den Dörfern überall auf der Welt. Wo es Landwirtschaft gibt, findet man solche Riten. Viele junge Senegalesen verlassen die Dörfer, wie ich es 2009 fotografiert habe: Die Jungen kommen in die Stadt, machen einen kleinen Job, tainieren und träumen davon, mithilfe des Ringkampfes den kleinen Job aufgeben zu können. … Ja, das ist eine Art, seinen Körper einzusetzen, und es ist auch eine Hoffnung, groß zu werden, eine Hoffnung, über die Runden zu kommen und das erste Werkzeug, das da ist, ist der Körper. Das ist die Idee hinter den Fotos.

FRAGE: Warum haben Sie die Kampfbilder und die Portraits in ihrer Umgebung zu einer Serie integriert?

EFD: Zum einen, um einen Bezug zu meinen anderen Arbeiten beizubehalten und zum anderen, um mehr zu sagen als nur, „die Kämpfer sind schön“, sondern um sie zu personalisieren, damit sie wieder zu Menschen werden, die kämpfen, und nicht nur schöne Körper in Bewegung. Ich zeige ihren täglichen Kampf, ihren Alltag, das ist eine andere Art von Kampf.

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Serie Portrait d’un mouvement social (Portrait einer sozialen Bewegung), 2011-2012

Ich weiß nicht, ob es die Aufgabe des Fotografen ist, große soziale Umwälzungen festzuhalten. Wenn man am Menschen interessiert ist, dann ist das, denke ich, ein starker Moment. Was mich tatsächlich betroffen gemacht hat, das war, dass man oft sagte, in Afrika sind die Bürger nicht Herr über ihr Schicksal, weil ihre Stimme kein Gewicht hat; die bürgerliche Gesellschaft hat keinen Einfluss auf die Politiker, weil sie keine Regeln respektieren usw. Bei alternativen Konzepten der Globalisierung kann man aber beobachten, wie sich Menschen zusammenschließen. Und bei den Wahlen im Senegal 2012 sah man, inwieweit die Bürger die Politik beeinflussen konnten. Diesen Fragen bin ich in einer Reportage nachgegangen. Und so wie ich mich beim Tanz von der Bewegung davontragen ließ, habe ich mich hier von den Ereignissen davon tragen lassen. Im März 2011 haben die Demonstrationen begonnen und gingen bis zu den Wahlen im März 2012, also etwa ein Jahr lang.

Zu Anfang wollte ich den Gruppen folgen, die sich als Bürgerbewegung formiert hatten. Die erste von der ich hörte, die wirklich Projekte bürgerlichen Handelns auf dem Plan hatte, war „Y’en a Marre“. Es gab eine Diskussion darum, die Mentalität der Bevölkerung zu verändern, um ein Bewusstsein und Respekt für das Gemeinwohl zu wecken. Sie haben versucht, von Tür zu Tür zu gehen, damit die Leute ihre Viertel gemeinsam säuberten, also wirklich bürgerschaftliche Aktionen. In Bezug auf die Wahlen wollten sie die jungen Leute dazu bringen, sich in die Wählerlisten einzuschreiben. Diese Bewegung entsprach am ehesten meiner Auffassung von einer Bürgerbewegung. Auch aus der Politik selbst entsprangen Bewegungen, so die Bewegung des 23. Juni als Folge eines parlamentarischen Ereignisses. Das war eine riesige Demonstration vor dem Parlament, die alle im Land anging, um den scheidenden Präsidenten daran zu hindern, ein Gesetz einzubringen, durch das er mit 25% der Stimmen hätte gewählt werden können; gleichzeitig wäre er Präsident der Staatsanwaltschaft geworden, und auch sein Vizepräsident wäre mit nur 25% der Stimmen gewählt worden. Diese zweite Bewegung nannte sich „M 23“, entsprach aber nicht ganz meiner Idee einer Bürgerbewegung.

Zu Beginn wollte ich ein Bild dieser kämpfenden Bürger wiedergeben und allmählich hat sich das zu einer Chronik der aktuellen Demonstrationen gewandelt. Ab dem 24. Juni haben sie bis zur Zeit des Wahlkampfes einmal monatlich demonstriert und zusätzlich gab es die Aktionen der „Y’en a Marre“. Ab Januar 2012 häuften sich die Demonstrationen, und die Idee zu einer Fotoreportage drängte sich geradezu auf.

2014

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Mamadou Gomis

Das Reisen ist aus meiner Sicht eine wichtige Erfahrung. Durch den Austausch werden wir viel offener. Das Transkulturelle ist wichtig, unterschiedliche Sichtweisen zu teilen, zu kooperieren. Auch in der Diskussion der Fotografie sollten wir uns austauschen, auf andere Kulturen zugehen und nicht verschlossen sein. Es ist Teil des Lernens und Lernorte sind ein Zuhause, die Schule ebenso wie die Straße. Und die Straße ist die Ewigkeit.

In der künstlerischen Fotografie schreibe ich einen Text, der festlegt, wie ich das Thema behandeln möchte. Jedes Foto sollte zwar für sich allein stehen, aber am Ende bei der Präsentation, hängt doch alles von der Serie ab. … Zudem steht die Annäherung auch konzeptionell im Vordergrund. Ich nähere mich den Leuten an, diskutiere mit ihnen, spreche mit ihnen darüber, was ich vorhabe, warte Reaktionen ab, wie bei der Serie „Gardiens“ [eine Serie über Bewachungspersonal in den Straßen von Dakar, die im Juni 2014 im Goethe-Institut Dakar ausgestellt war]. Ich erkläre es ihnen. Die Leute denken, dass es den Respekt lediglich gegenüber Menschen gibt, die man fotografieren möchte. Aber der Fotograf sollte genauso Respekt gegenüber seinen fotografischen Objekten, egal ob Menschen oder Dinge, haben. Wenn das Ganze in einem journalistischen Rahmen stattfindet, stellt man sich einfach hin, schießt seine Fotos und veröffentliche sie. Danach entsteht vielleicht noch nicht mal das Bedürfnis darüber zu sprechen.

Serie Clin d’œil, Bilbao, Espagne (Ein Augenblick, Bilbao, Spanien), 2013

Ich war in Bilbao. Ich wohnte in einem Hotel und bin in die Stadt gegangen, um Fotos zu machen. Wenn ich Leute getroffen habe (die in der Regel sehr nett waren), haben die meisten mich aufgefordert, Fotos von ihnen zu machen. Andere verlangten von mir für die Fotos, die ich von ihnen machte, zu bezahlen. Ich dachte, dass es sowas nur in Afrika gäbe. Das war schon eine interessante Erfahrung. Ein anderes Erlebnis war, dass die Leute dachten, ich sei US-Amerikaner. Ich sagte ihnen einfach, dass ich US-Amerikaner bin. Warum? Es schien ja, als ob sie es von einem Afrikaner nicht gewohnt waren, dass er nach Europa kommt, um Fotos zu machen. Sie konnten sich das offenbar nicht vorstellen.

Bei der Straßenfotografie kann ich mir nicht vorstellen, Konzepte zu schreiben. Wenn man ins Fußballstadion geht, ins Basketballstadion, befindet man sich in einem öffentlichen Raum, aber auch hier gibt es einen privaten Bezugsrahmen. Der Ort ist öffentlich-privat. Auch in einem Bus ist man gewissermaßen in einem öffentlich-privaten Raum, da man für den Bus ein Ticket braucht, um einsteigen zu können, um in Sicherheit zu sein, um dorthin gebracht zu werden, wo man hin möchte. Aber der Raum der Straße führt uns zurück zum Aspekt der Würde. Denn wenn wir über Fotografie sprechen, sprechen wir über die Würde der Menschen. Das Recht am Bild gehört den Menschen. Der Mensch hat seine Würde. Und meine Überzeugung ist, dass man kein Foto machen darf, das die Person herabsetzt, jedes Foto sollte die Würde des Menschen bewahren. 

Angelina Nwachukwu

Als ich zwölf war, habe ich mir zum Spaß eine Wegwerf-Kamera gekauft. Damit hat meine Leidenschaft zur Fotografie begonnen. Später liebte ich es, Bilder zusammenzustellen, die mit meiner Familie zu tun hatten. Ich sammelte alte Fotos, um sie einzukleben und später habe ich sie mit Bildbearbeitungsprogrammen verändert. Ich habe an vielen Orten in Europa und in Afrika an Workshops teilgenommen.

Serie Landschaften: Porte, Méditation, Masque (Tür, Meditation, Maske), 2013

An dem Tag, als ich mit einer Gruppe zum Wandern gegangen bin, fühlte ich mich nicht so gut. Ein besonderer Tag nahte und kein fröhlicher, also sagte ich mir: „Gut, geh ich halt mit, da kann ich mich entspannen und ein wenig vergessen, was passieren wird.“ Als ich ankam, war das ein mir völlig unbekannter Ort, den ich neu und schön fand. Es entstand durch die besondere Situation eine ganz neue Beziehung zur Natur, zur Vegetation und zu den Tieren. Diese Fotos sind also nicht vorbereitet, sie sind spontan an Ort und Stelle aufgenommen.

Die Natur ist ein überaus ruhiger, überaus friedlicher Ort. Die Natur wird Sie niemals bitten, aufzustehen und wegzugehen. Sie lässt Sie da, wo Sie sind, und lässt sich auf alles ein, was kommt. Hier kann ich entfliehen, die menschliche Existenz vergessen.

FRAGE: Einerseits fühlst du dich durch die Natur befreit, du hast gesagt, sie sei ein Mittel, zur Flucht. Andererseits, ist auch die Arbeit am Computer, mit der man virtuelle Welten schafft, ein Mittel zur Flucht. Wenn Du eine virtuelle Welt schaffst, fängst du von null an, du erschaffst alles neu, oder?

AN: Ich fange wirklich bei Null an. Und wenn ich schon von etwas ausgehen muss, dann gehe ich von einem Ort aus, den der Künstler, dessen Werk ich irgendwo gefunden habe, schon vorgefertigt hat. Dann baue ich auf etwas auf. Ich liebe das Abstrakte sehr, die Tatsache, dass es möglich ist, ein in der realen Welt aufgenommenes Foto in diese virtuelle Welt einzubetten. Diesen Gedanken möchte ich gerne weiterentwickeln.

Es gibt virtuelle Landschaften, die ich schaffen möchte, die ich schaffen muss. Sie werden in Bezug stehen zu einem Projekt einer weiteren gemeinsamen Wanderung mit anderen Fotografen. Nach dieser Wanderung werden wir alles ins Netz stellen, um es im virtuellen Raum auf dieselbe Ebene zu stellen. Alles was hier im Senegal geschaffen wurde, wird dann in der virtuellen Welt zu finden sein, damit andere Künstler daran teilnehmen können und damit das interaktiv wird. Damit werden wir Räume erschaffen, (vielleicht nicht gerade Wälder), aber sowas wie grüne Räume, die wir in die virtuelle Welt stellen. Und zu der Ausstellung in der virtuellen Welt werden dann echte Menschen kommen, um daran teilzunehmen.
Amadou Sow

Serie Taama Sira (Der Pfad des Exodus), 2010

Als Kurator ebenso wie als Fotokünstler mag ich die etwas komplizierteren Bilder und ich liebe die ‚Deutlichkeit’ in einem Bild. Aber tatsächlich spreche ich, wenn ich „deutliche Bilder“ sage, nicht von Bilder, die nicht unscharf sind, ich spreche nicht von der Unschärfe. Denn bezogen auf meine persönliche Arbeit – da gibt es sehr viele unscharfe Bilder. Das ist eine persönliche Arbeit, die zeigt eine okkulte Wissenschaft –… das ist eben nichts Genaues. Deshalb habe ich mich entschieden, eine etwas verschwommene Arbeit zu machen. Verschwommen und auch dunkel, mit viel Schwarz im Blick. Gewöhnlich spielt sich das in einem kleinen, dunklen Zimmer ab, wo nicht viele Leute dabei sind und man Mühe hat, sich zu erkennen, und es kommen Leute heimlich dazu. Deshalb habe ich diese Arbeit gemacht. Ich mag die Unschärfe sehr und damit es etwas mehr oder weniger unscharf wird, spiele ich oft mit dem Objektiv und arbeite viel mit großen Brennweiten. Ich benutze daher oft die große Brennweite. Das alles gibt der Arbeit Tiefe, damit entsteht jedes Mal, wenn ich mit einer Analogkamera arbeite, ein Unterschied zwischen dem Hauptthema und dem Hintergrund. Also wenn ich von der Deutlichkeit eines Bildes spreche, dann meine ich darüber hinaus, man muss wissen, was das Hauptthema ist, was das Hauptanliegen des Fotografen ist. Wer ist wer, was ist was, die Deutlichkeit, was will er zeigen – das muss der Punkt sein, er muss einen Punkt fokussieren, ein Detail, um überhaupt etwas zu zeigen. Davon spreche ich hier, von der Deutlichkeit in diesem Augenblick, nicht von der Unschärfe.

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Djibril Sy

Meiner Meinung nach kann das Foto helfen, das Bewusstsein der Bevölkerung zu wecken und das Verständnis dafür, dass jeder Einzelne dazu beitragen muss, Geschichte zu schreiben, für sich und die anderen. Diesen Weg habe ich immer verfolgt, danach suchte ich jeden Tag.

Wir haben sehr gekämpft, um z.B. dem Foto-Journalismus hier einen Stil zu geben, aber es gab keine Weiterentwicklung. Wir wollten der senegalesisch-afrikanischen Presse vermitteln, dass sie das fotografische Bild besser einsetzen sollte. Leider wird die Fotografie hier nur als Illustration verwendet. Die Leute setzen einfach Portraitfotos hin, die von was-weiß-ich-wann datieren, eben nur um den Platz zu füllen. Sie illustrieren. Aber wir, wir wollten eine Geschichte erzählen, eine Reportage erarbeiten. Dann braucht es nur noch einen kleinen Legendentext und die Geschichte ist fertig. Aber leider hat das hier niemand verstanden. Wir haben sehr dafür gekämpft. Und leider haben wir diese Schlacht nicht gewonnen, weil das Foto teuer ist und die Leute haben nicht die Mittel, eine zusätzliche Arbeit zu bezahlen. Also haben wir uns von den afrikanisch-senegalesischen Medien abgewandt, die uns nicht folgen konnten, und na gut, dann haben wir das im Ausland gemacht. Da konnte man nichts erzwingen… – und heute bin ich so etwas wie ein Bezugspunkt für die Jungen, die Reporter werden wollen. Denn bis heute schauen sie mich mit solchen Augen an und fragen: „Ist das möglich?“ Diesen Reportagestil hätte man also gerne dieser Jugend mitgeteilt, damit die Fotografie eine andere Dimension bekommen hätte.

Reportage über den Bürgerkrieg in Liberia, 2003

Als ich diese Bilder machte, war ich in einer Presseagentur namens PANA, Pan African News Agency. Ich war darüber übrigens sehr froh, denn ich merkte, dass ich etwas machte, das wirklich zu mir gehörte. Es handelte sich um den Bürgerkrieg in Liberia [1999-2005] und von dem einen Bild gibt es eine ganze Geschichte. Die Agentur hatte uns wegen eines Berichtes über die Vorgänge daruntergeschickt. Ich war mit einem Redakteur unterwegs, er hieß Moriba Magassouba, er war schon lange bei der senegalesischen und afrikanischen Presse. Dieser Journalist und ich wir mussten mit den Vereinten Nationen durch Rebellengebiet. Wir sind bis zur Grenze gekommen und die Sondergesandten der Vereinten Nationen sollten mit den Rebellen verhandeln, damit wir die Brücke zu ihnen überqueren konnten. Wir waren von 10 Uhr bis 12 Uhr mittags vor Ort. Es ist ihnen nicht gelungen, die Genehmigung zu erhalten. Schließlich haben sie gesagt: „Gut, wir ruhen uns aus, wir gehen zurück ins Hotel bis um 3 Uhr, vielleicht kriegen wir dann die Genehmigung.“ Uns tat es leid wegen der Bilder, wir waren da, wir warteten. Und da sagte mein Kollege Magasse zu mir: „Also ich versuche, hinüberzukommen. Das sind meine Verwandten, ich spreche dieselbe Sprache wie sie, ich versuche, sie umzustimmen.“ Dann ist er los und wollte über die Brücke – er ist mein Kollege, ich konnte nicht da bleiben und ihn… man weiß nie! Und dann sind wir gemeinsam gegangen. Es war schon gefährlich, weil die Brücke einen kleinen Buckel machte. Bevor jemand es merkte, konntest du eine Kugel oder so abkriegen. Aber gut, wir haben allen Mut zusammengenommen, besonders Magasse. Drüben angekommen, sprach er sie an, und sie haben ihm in der gleichen Sprache geantwortet. Und das hat sofort eine Verbindung geschaffen, er hat Witze gemacht, ich fühlte mich beruhigt, wir konnten unseren Weg fortsetzen.

Aber diese Freude ist sofort erloschen, weil die Bilder überhaupt nicht schön waren. Absolut. Überall Leichen, müde junge Leute, man sah wie ihnen die Augen aus den Höhlen heraustraten, einige waren dabei, etwas zu vergraben. Schon am Rand der Kriegszone haben sie uns empfangen. Sie wollten uns sehen und dann haben uns die Jungen als erstes um Zigaretten gebeten. Ich zog mein Paket raus und teilte es mit ihnen. Ich hatte es so eilig, Fotos aufzunehmen, dass ich kaum Salamalaikum gesagt habe, sondern sofort, tac, tac, tac angefangen habe, zu knipsen. Magasse hat seine Fragen gestellt und so waren wir sofort mittendrin. Wir waren uns nicht bewusst, dass wir in einer, wie man sagt, gefährlichen Zone, waren. Aber wir haben dort menschliche Wesen getroffen, die mit uns sprachen, uns um Zigaretten baten und die mit uns diskutierten, das änderte die Sache sofort komplett. Wir begegneten uns auf gleicher menschlicher Ebene. Und bei dieser Gelegenheit seht ihr, das ist eines der ersten Bilder, das ich gemacht habe: ein Junge, ziemlich eindrucksvoll, der hat übrigens sein Gewehr mit Farben geschmückt. Und hier, der Wagen, völlig durchlöchert, das waren die Jungen, müde und fertig, und, ehrlich gesagt, da ist bei mir schon auch etwas passiert.

Ich hatte den Eindruck, mit meinen Fotos einen Beitrag zu etwas zu leisten, und ich tat dies nicht direkt für eine westliche Presse; aber ich frage mich auch, ob ich da in einer guten Position gewesen wäre. 

Diese Frauen mit den Gewehren, man nennt sie dort unten „die Amazonen“, sind eindeutig die Freundinnen der Rebellenchefs. Sie machten das sicherlich nicht aus Lust und Freude, das würde mich wundern, aber sie waren privilegierte Frauen, sie hatten Freunde, die wiederum Chefs über dieses oder jenes waren, dadurch bildeten auch sie eine kleine Frauenrebellengruppe. Ich habe daran trotz allem keine guten Erinnerungen.

Le bébé à Kedougou pendant la récolte du coton (Baby in Kedougou während der Baumwollernte), 2001

Das war die Baumwollernte in Ostsenegal, wo man viel Baumwolle anbaut. Seht Ihr, dieses Bild war für mich ein Geschenk des Himmels, es ist weder vorbereitet noch sonstwie beeinflusst. Die Frau war da und sie erntete selbst Baumwolle. Sie hatte ihr Kind auf dem Rücken, es war so heiß, sie war müde und ihr Kind fing an zu weinen wegen der Hitze, sie wollte es ein wenig liebkosen, einen Spaß machen – und ich war da. Plötzlich hat sie das Kind hochgehoben und es auf die Baumwolle fallen lassen und das Kind hat gelacht, weil die Baumwolle den Aufprall abgefangen hat und das hat sie amüsiert. Und gerade in diesem Moment habe ich das Foto aufgenommen. Und hier ist das Ergebnis. Deshalb habe ich gesagt, dieses Bild ist ein Geschenk des Himmels. Solche Bilder bekommt man, wenn man draußen auf dem Feld ist, weil man dort mit dem Herzen sieht. Und alles was man ablichtet, entsteht, weil es aus dem Herzen kommt.

Ich vermeide es inzwischen, Bilder zu machen von dem, was hart ist, davon hat man schon so viel gezeigt, sondern ich zeige das, was weiterhilft. Ihr könnt hier beispielsweise die Baumwolle bewundern, ein ausgezeichnetes Produkt, das alle auf der ganzen Welt verwenden! Aber wie soll man die Menschheit für diejenigen sensibilisieren, die jeden Tag arbeiten, die uns kleiden, die aber selbst in Wirklichkeit nichts davon haben? So in etwa ist es gemeint. Aber das ist, offen gestanden, ein sehr poetisches Bild, in diesem Sinne möchte ich gerne arbeiten.

Lavandière (Die Wäscherin), 2002

Und das war eine junge Frau, die bei uns, bei meiner Tante arbeitete. Sie kümmerte sich die ganze Zeit um die Wäsche, sie holte Wasser, leerte es in die Becken, und das den ganzen Tag, sie hängte sie auf. Es war ein Ritual, etwas, das sie ständig machte. Nun war ich zeitweise im Hof und beobachtete sie wegen der Bewegungen, die sie macht. Das ist fast wie ein Tanz. Eines Tages ist dabei in meinem Kopf etwas passiert. Sie hebt die Wäsche so hoch, um Wasser und Seife auszuspülen. Diese Bewegung ist einzigartig. Das herabtröpfelnde Wasser habe ich nicht drauf bekommen, aber ich habe trotz allem diese Form ihrer Hände einfangen können. Das war ein kurzer Augenblick, ich musste ihn festhalten. Das Negativ ist leider verloren.

Serie Réligions (Religionen), seit 2002

Jubilée de Marie à Popenguine (Marienfest in Popenguine), 2002

Das sind Katholiken. Es war eine sehr große Messe, das Marienfest glaube ich, ich war eingeladen. Es ist eine der großen christlichen Versammlungen. Meistens veranstalten eher die Muslime solche Versammlungen. Doch in dem Fall war es wirklich eine christliche Zusammenkunft, das sieht man selten – ich meine eine nicht-traditionelle Versammlung, und das Marienfest in Popenguine ist eine jährliche Pilgerreise.

Le 108e Grand Magal de Touba (Das 108. Große Ehrenfest von Touba), 2003

Das große Magal von Touba ist eine große jährliche Versammlung der Muslime, in diesem Fall der Muriden. Nach dem christlichen Kalender ändert sich das Datum immer, denn es ist ein muslimisches Ereignis, ein anderer Kalender. Man feiert die Rückkehr des großen Muriden aus Touba, Amadou Bamba (1853-1927), der von der französischen Kolonialverwaltung vertrieben im Exil in Gabun war. Jedes Jahr feiern sie das.

Prêtresses du bois sacré, la journée de réconciliation du paix de la rébellion du Casamance (Priesterinnen aus dem Heiligen Wald bei den Friedensfeiern der Casamance-Unabhängigkeitsbewegung), Ziguinchor 2001

Es gibt auch Animismus in derselben Serie. Es war ein punktuelles Ereignis, nach dem Ende der Rebellion in der Casamance, feierten sie die Friedenstage. Sie hatten die Chefs der Rebellen eingeladen, und sogar Priesterinnen sind aus dem Wald gekommen, um Teil dieses Versöhnungstages zu sein. Sie haben keine Opfer gebracht, nur gebetet. 

Cérémonie du Tuuru, sacrifice à Ndeuk Daour, Dakar (Tuuru-Zeremonie zu Ehren des Stadtheiligen von Dakar, Ndeuk Daour), 2002

Das war das Opfer von Dakar, von der Stadt Dakar – also dem ursprünglichen, freien Dorf der Ureinwohner, der Menschen, die wirklich in Dakar leben, die Lébous. Traditionellerweise sind die Lébous Fischer und Landwirte. Manche haben immer noch kleine Landgüter und sie betreiben Landwirtschaft. … Selbst in der modernen Stadt, mit den Hochhäusern usw., gibt es immer noch kleine Viertel, in denen Lébous wohnen. Sie sind traditionell geblieben. Also bringt man jedes Jahr vor der Winterzeit Opfer, damit es genug Wasser gibt. Sie versammeln sich am Soumbédioune-Strand im Westen von Dakar und machen ihre Zeremonie, damit es viel regnet.

Commémoration du naufrage du bateau de Joola (Gedenkfeier zum Jahrestag des Untergangs des Schiffes Joola), 2002

Das Schiff Joola [Diola] aus der Casamance erlitt auf dem Weg nach Dakar Schiffbruch mit mindestens 1000 Toten. Seitdem gibt es jedes Jahr eine Gedenkfeier zu diesem tragischen Unfall. Zu diesem Anlass habe ich manche Fotos gemacht. Du siehst die Muslime und die Christen hier alle zusammen. Der Gedenkort ist in Dakar, dort gibt es auch eine Namenstafel der Verunglückten.

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Ibrahima Thiam

Durch die Fotografie konnte ich mich ausdrücken. Ich mag die Malerei, kann aber nicht malen, also kam mir der Gedanke, dass man auch mit der Kamera malen kann. Während eines Fotokurses habe ich gemerkt, dass das möglich ist: Mit dem Licht, den Blenden- und Zeiteinstellungen kann man mit der Kamera tatsächlich eine Art Malerei betreiben. Die Leute sagen: "Das ist Malerei". Doch meine ursprüngliche Idee als Fotograf ist es nicht, im Foto wirklich Malerei zu machen. Es gibt einen Fotografen und Maler, dessen Arbeit ich sehr schätze. Er heißt Gerhard Richter, er ist Deutscher. Es gibt einen anderen Künstler, den Haïtianer Maxence Denis, der vor allem Videokunst macht und dessen Werk ich ebenso schätze.

Serie Réflèts (Reflexionen), 2010

Die Serie Réflèts ist in Saint-Louis 2010 entstanden, als es dort ziemliche Probleme mit Überschwemmungen gab. Ich bin dort geboren und aufgewachsen, aber hatte das noch nie gesehen. Ursprünglich wollte ich dort die Architektur fotografieren. Als ich ankam sah ich, mit welch großen Schwierigkeiten die Bevölkerung wegen der Überschwemmung konfrontiert war. Es war neben einem Markt, den die Menschen nur schwer erreichen konnten. Neben dem Hauptproblem der Überschwemmungen gab es gleichzeitig ein großes Müllproblem. Die Leute haben Abfälle ins Wasser geworfen, was sehr problematisch war. Diese Situation hat mich stark berührt, vor allem die Menschen in dieser kritischen Lage. Als Fotograf konnte ich aber in dieser Situation die Menschen nicht direkt in ihrer persönlichen Sphäre fotografieren. Die Spiegelungen im Wasser waren für mich ein Zeugnis dieser Situation. Ich habe diese Reflexe festgehalten, die gleichzeitig das Problem und eine ästhetische Seite zeigen. … Das ist wie eine fotografische Skultpur.

Serie L’usure du temps (Die Spuren der Zeit), 2013-14

Wie in der Serie L'Usure du Temps sind es unsichtbare Dinge, die die Leute nicht beachten, die ich über die Fotografie mitteilen kann – wie bei den Reflexen mit einer gewissen Distanz. Jedes Mal wenn ich abgenutzte Gegenstände sehe, möchte ich diesen Blick mit den Anderen teilen. Es sind einfache Dinge, die da sind, aber nie beachtet werden. In dem Moment, in dem sie fotografiert werden, wird die Erfahrung der Vergänglichkeit von allen geteilt. Jeder hat seine eigene Wahrnehmung, das ist das Interessante. Jedes Auge ist wie eine Kamera. ... Im Durchblick sieht man keinen Imam, nur einen alten Mann mit einer Kokospalme, die auf die Wand gezeichnet wurde. Es gab zwei Farben, die der Erde und die der Architektur, das Blau.

Serie LE CADRE (Der Rahmen), 2014

Wenn ich den Spiegel hinstelle kommen die Leute, sie möchten sich zum Beispiel im Spiegel sehen. Manche Leute aber sehen ihn und laufen einfach vorbei. Ich fotografiere durch den Spiegel auch die Umgebung. Der Spiegel erlaubt mir, meine Umgebung wahrzunehmen, wie mit der Kamera. Das ist Fotografie: Sie ist für mich zugleich Ausdrucksmittel und Mittel zur Wahrnehmung der Umwelt. Diese Idee verfolge ich mit dem Spiegel sowie mit dem fotografierten Rahmen, aber auch mit dem Bereich außerhalb des Rahmens. Ich wähle mit meiner Kamera nicht nur einen Ausschnitt, sondern ich schaffe einen Rahmen außerhalb meiner Kamera. Ich möchte eigentlich die unsichtbare Realität zeigen.

 

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TEIL II: THEMEN

 

  1. Fotobiennale in Bamako

 

EMMANUEL BAKARY DAOU, Bamako, 2011

Die Fotografie gibt es zwar seit längerem in Mali, weil die alten Fotografen wie Malick Sidibé und Seydou Keïta mit ihren Portraits die Fotografie aufwerteten, denn die Leute ließen sich gerne fotografieren, um ihre Aufmachung zu zeigen, und um ihren sozialen Status zur Schau zu stellen. Gewöhnlich ließ man sich an den Festtagen fotografieren, um zu zeigen, dass man ein schönes Gewand kaufen konnte, dass man gut frisiert war. Bei den Rencontres in Bamako [der Fotobiennale] haben wir glücklicherweise gelernt, dass es noch etwas anderes gibt, als nur auf dem Foto zu erscheinen. Das Foto ist ein Mittel der Kommunikation, ein Mittel, um Botschaften mitzuteilen und vor allem ein konkretes Zeitzeugnis. Ich habe das oft bei meinen Ausstellungen gesagt: Ein Mal sehen, wiegt mehr, als tausend Mal hören.

Sehr lange Zeit dachten die Menschen aus Mali, dass die Sache (mit den Biennalen) nichts für sie sei, weil sie nicht einbezogen worden waren. Das waren Ideen, die kamen und eingepflanzt wurden, oftmals ohne uns zu fragen. Angesichts der Tatsache, dass wir dafür auch nicht ausgebildet sind, waren die Leute frustriert. Es gibt noch immer welche, die frustriert sind, die denken, nein, das ist nur etwas für eine Handvoll Leute.

Man könnte meinen, dass wir durch diese Treffen, die ja nun schon seit mehr als zehn Jahren stattfinden, uns ein bisschen an die Situation gewöhnt haben sollten, aber es gelingt uns nicht, angemessen, wie es sich gehört, mitzuziehen; auch läge es an den Organisatoren, ein wenig innezuhalten und sich manchmal auf unser Niveau zu begeben, damit sich möglichst viele afrikanische, bzw. Malische Fotografen angesprochen fühlen. Und deshalb wollen meine Vereinigungen „Djao Mali“ und „Digital Club“ bei den Fotografen auch das Bewusstsein dafür zu wecken, dass die Biennalen für uns sind und dass wir, wenn wir draußen bleiben, die eigentlichen Verlierer sind.

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AMADOU SOW, Bamako, 2011: 

Als Ausstellungsmöglichkeit haben wir in Bamako das Afrikanische Haus der Fotografie (Maison Africaine de la Photographie) hier am Ort, das staatlich ist, und zur Aufgabe hat, die Fotografie zu verbreiten, sie zu fördern und Bilder zu sammeln. Das Haus hat also die technischen Mittel, Ausstellungen zu machen, um die Fotografen Malis zu fördern. Das ist ein erster Aspekt. Zum zweiten besitzt Bamako als Hauptstadt der Fotografie heute „Le Rencontre Africaine de la Fotografie“, das alle zwei Jahre stattfindet. Das ist also ein internationales Schaufenster, das es dem Fotografen erlaubt, in der ganzen Welt bekannt zu werden. Das ist der zweite Aspekt. Zum dritten gibt es einen Fonds, der den schöpferischen Künstlern zur Verfügung stellt. Das ist ein von der EU finanziertes Programm, das finanzielle Mittel für das künstlerische Schaffen zur Verfügung stellt. Aber man muss ein Projekt einreichen, und das ist besonders schwierig für die Fotografen hier, weil die meisten Leute sind, die nicht so viele Mittel haben. Sie sind also sehr eingeschränkt und wenn man sie bittet, ein Projekt vorzuschlagen, schafft das Frustrationen und Probleme. Sie werden also nicht viel beitragen. Man muss deshalb den Weg über die Vereinigungen gehen, die ein Projekt aufstellen können, und wenn das finanziert ist, werden sie auch die Künstler in ihrem Schaffen finanziell unterstützen.

Die zeitgenössische Fotografie, die einen Blick auf bestimmte Bereiche wirft, auf alles, was um uns her vorgeht und nicht unbedingt das Gesicht eines Individuums zeigen muss, ist eine sehr junge Art von Fotografie, die die Mali’schen Fotografen besonders durch die Fotobiennale kennengelernt haben. Es kamen Fotografen von anderswo her, die wussten, wie man zeitgenössisch arbeitet. Sie sind mit ihrer Arbeit zur Ausstellung gekommen und viele Leute haben sich gefragt: Was ist das für eine Fotografie? Eine Fotografie, die keine Menschen mag. Das war der erste Eindruck. Diese Fotografie hatte damals noch nicht das Gegenteil bewiesen und bis heute spricht das manche Leute nicht an. Es gibt Fotografen, die nicht vertreten sind, die noch heute in den Dörfern leben. Für sie bedeutet die Arbeit an solchen Themen wenig.Wenn man von einem Foto spricht, dann heißt das, dass man vom Menschen spricht, der da auf dem Bild ist, und nicht von etwas anderem. Ich denke also, dass es das ist, was den Fotografen hier so charakteristisch macht, und deshalb arbeiten so viele Fotografen auf dem Gebiet des Portraits.

Aber heute haben wir nicht wenige junge Fotografen, die im Bereich der Kunstfotografie arbeiten und sich weiterentwickeln, die sich im Zeitgenössischen bewegen, mit Objekten, Situationen oder Gebäuden arbeiten und nichts zu tun haben mit dem Portrait. Auch wenn sie nicht sehr zahlreich sind.

Wissen Sie, die Rencontres in Bamako, finden in einem bestimmten Monat statt. Also sind die Sammler, die Galeristen während einer Woche da. Und nach einer Woche gehen sie. Also eine Galerie kann von einer Woche nicht existieren, … gerade mal eine Woche lang!

Wenn man mir heute die Leitung der Biennale gäbe, würde ich eine große Eröffnung machen. Ich würde versuchen, die Authentizität und den afrikanischen Charakter dieser Veranstaltung zu bewahren, aber es würde auch einen Raum für die Werke europäischer, asiatischer, amerikanische Künstler geben. Die Rencontres sollten Raum bieten, sich auszutauschen, Kunst zu verbreiten, zu sammeln, zu verkaufen – und das für Künstler der ganzen Welt. Nicht nur für die afrikanischen Künstler. Aber man muss auch einen Raum schaffen für die, die kein Dossier für das Treffen vorlegen können, denn auch sie sollen ihre Werke ausstellen können, damit die Welt ihre Arbeit wertschätzen kann. Denn wie gesagt, das ist das Schaufenster der Künstler, der Fotografen.

 

  1. Wandel der Zeit. Eine neue Generation

 

EMMANUEL BAKARY DAOU, Bamako, 2011: 

Heute sieht man z.B., dass die Kleidung der Leute sich geändert hat, sogar die Frisuren, die Nahrung, das Sprechen, alles hat sich geändert. Als ich ganz klein war, gab es in Mali noch kein Fernsehen. Aber heute haben das alle und es entfernt sie von dem, was Eltern und Großeltern lehrten. Hier in Bamako sieht man nur noch selten Kinder um einen alten Menschen, der z.B. eine Geschichte erzählt. Ich finde, wenn das verloren geht, dann werden die Kinder nicht wissen, was unsere Eltern gelebt haben. Weil das Fernsehen uns Bilder zeigt, die von anderswo herkommen, die oft also nichts mit uns zu tun haben und plötzlich verliert man seine Orientierungspunkte. Deshalb freut es mich, wenn ich mit dem Aufgreifen der alten Zeichen und Symbole von unseren Werten erzählen kann. Nur so wird den Jungen von heute, der neuen Generation, klar, dass wir eigene Werte hatten und haben. Das Sprichwort sagt: „Nur wenn Du weißt, woher Du kommst, kannst Du auch wissen, wohin Du gehen wirst.“

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OMAR VICTOR DIOP, Dakar, 2014:

 

Ich denke, es bricht eine neue Ära an, vor allem hier im subsaharischen Afrika. Wir merken die Folgen der neuen Entwicklungen, wie zum Beispiel die sozialen Medien, die Möglichkeit, für jeden Künstler Dank des Internets über eine internationale Plattform zu verfügen. Vor 15 oder 20 Jahren, wenn man da als Künstler nicht durch verschiedene Institute, Goethe-Institut oder Institut Français, Kultusministerium oder einen Mäzen entdeckt wurde, hatte man keine Chance, sich woanders bekannt zu machen. Das heißt, dass man heute für den Aufbau einer internationalen Reputation als Künstler viel mehr braucht, als nur Kreativität. Man muss Kommunikationskanäle finden, denn Kunst bleibt Kommunikation.

Wir sind jetzt die erste Generation, die von diesen Fortschritten profitiert. … Das gibt uns mehr Mut, denn wir wissen: Wenn das Produkt gut ist, kann es von heute auf morgen beim internationalen Publikum landen. Es braucht nur die Qualität dazu – und ein wenig Glück.

Ich denke auch, dass der internationale Blick auf Afrika sich ändert. Früher haben die Leute überhaupt nicht zwischen einem Schwarzafrikaner und einem Black American unterschieden, ein Schwarzer war ein Schwarzer. Heute beobachte ich, dass selbst in Afrika die Menschen begreifen, welche Vielfalt von einem Punkt des Kontinents zum anderen besteht. Allmählich wird der Blick, den die Welt auf Afrika wirft, viel respektvoller, die Leute interessieren sich wirklich für die Afrikaner, mehr als für Afrika allgemein.

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ELISE FITTE-DUVAL, Dakar, 2014: 

Seit 10 Jahren gibt es zusätzlich zur Fotografie viele Frauen, die als Journalistinnen tätig sind. Es ist also in die kulturelle Landschaft Senegals inzwischen eingegangen, dass Frauen Bilder machen, dass Frauen Journalistinnen sind. Mit den sozialen und religiösen Tabus geht man von Fall zu Fall um. Zwar hat man wie in vielen Gesellschaften im Falle einer Konkurrenz gegenüber einem Mann das Nachsehen, aber in einem Projekt, das man alleine durchführen will, ist das größte Problem die Finanzierung, aber ich denke, es gibt einige Möglichkeiten.

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MALIKA DIAGANA, Dakar, 2014:

All diese heute im kreativen Bereich tätigen Frauen sieht man oft nicht, aber sie sind sehr aktiv in der Werbung, in der Fotografie, im Tanz, im Film und sie sollten keine Angst mehr haben, sich öffentlich zu behaupten. Wir müssen lernen, standhaft zu bleiben, nicht nach einem oder zwei Jahren aufzugeben. Das Milieu ist sehr hart und man wird schnell entmutigt. Wie kann man hinter dem stehen, was man macht? Diese Frauen zwischen 18 und 40 Jahren stellen für mich eine neue Generation, eine neue Art des Denkens dar. Es sind dynamische Frauen, und genau das braucht man in einer Gesellschaft unbedingt.

 

 

  1. Ziele und Zweck der Fotografie

 

MAMADOU GOMIS, Dakar, 2014:

Über Fotografie kann man besser miteinander kommunizieren, als mit allen anderen Kommunikationsmedien, z. B auch mit Analphabeten. Und wenn ich von Analphabeten spreche, dann bin ich der Meinung, dass wir alle Analphabeten sind. … Aber eigentlich gibt es im Bereich der Fotografie keine Analphabeten, denn jeder kann das lesen, was er sieht. Man gibt als Fotograf eine Orientierung. Und wenn man von Details spricht, kannn man einer Tatsache eine Richtung geben, ein fotografisches Thema. In der Vorstellungskraft sind die Gedanken eine Weise des Wahrnehmens, deshalb ist das Foto ein Detail. Man muss die Details lesen können. Es gibt Leute, die vielleicht etwas anderes in diesen Details sehen. Die Tatsache, dass jeder etwas anderes auf dem Bild sehen kann, gibt diesem immer wieder eine neue Richtung.

FRAGE: Wer ist der Kunstmarkt?

MG: ...ich denke, der Kunstmarkt ist einerseits die Bevölkerung, und andererseits ist es der Sammler, ein Teil der Bevölkerung. Vielleicht richtest du an ihn deine Botschaft. Er wird sie besser verstehen können. Vielleicht ist er gerade in seiner guten Stube und verfolgt deine Schritte. Ich denke bei der Frage, an wen sich die Fotografie richtet, an die Leute, die Bevölkerung und auch an die Kinder.

In Afrika und vor allem im Senegal sagen alle Foto „dëg lë“ [Wolof: das ist die Realität]. Die Leute sind es gewohnt, etwas anzuschauen, ein Foto „dëg lë“, d. h. das Foto ist für sie die Realität. Denn eine bestimmte Person ist auf dem Foto abgelichtet. Aber das kann nicht die Realität sein.

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AMADOU SOW, BAMAKO, 2011:

Neben dem Fotografen sind der Schriftsteller, der bildende Künstler, der Dichter da, um von der Gesellschaft zu sprechen. Es gibt auch noch den Schauspieler, den Dramaturgen, der Kritik üben und die Bevölkerung sensibilisieren kann. Wir machen also dieselbe Arbeit. Deshalb habe ich immer gesagt, dass die Fotografie heute eine Disziplin ist, die die anderen künstlerischen Disziplinen befruchtet hat, besonders das Theater, das ein Mittel der Kommunikation ist, der Sensibilisierung, wie die Literatur, die Dichtung.

Fotografie ist auch Politik, weil heute ein Politiker ohne die Fotografie niemals denkbar ist.

In Mali leben die Fotografen von ihrer Produktion, d.h. besonders von der Reportage, denn dazu zählen auch Fotos von Taufen, von Hochzeiten, von Feiern. Der Fotograf fährt also von Viertel zu Viertel, von einer Berichterstattung zur anderen, um die kulturellen Veranstaltungen in einem Stadtviertel und darüber hinaus abzudecken, davon lebt er.

Aber es gibt eine zweite Gruppe, das sind diejenigen Fotografen, die im Bereich des Schöpferischen tätig sind. Aber die, die künstlerische Fotografie machen, leben von Ausstellungen, von Vorträgen, vom Verkauf der Bilder. Ich würde also sagen, ja, das Leben eines Fotografen ist hier etwas schwierig, weil das Foto, der Abzug, sich nicht verkaufen lässt. Mit der Bevölkerung gibt es insofern ein Problem, weil die Leute ihre Schlafzimmer, ihre Wohnzimmer nicht mit Bildern zu Dekorationszwecken schmücken, sondern hauptsächlich mit Erinnerungsfotos.

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MALIKA DIAGANA, Dakar, 2014:

Es war meiner Meinung nach ganz richtig, dass die Kunst die Bevölkerung dazu brachte, auf die Straße zu gehen und Veränderung einzufordern. Dabei wurde Kunst zu einem wichtigen Faktor. Die Leute sprachen nicht viel darüber, aber man sah, dass die Menschen durch die Fotografien mitverfolgten, was passierte. Auch die Rapper brachten durch ihre Stimme viele Leute auf die Straße, um dafür zu sorgen, dass Abdoulaye Wade tatsächlich verschwindet.

 

  1. Blickwechsel Afrika-Europa – Fotogeschichte

 

EMMANUEL BAKARY DAOU, Bamako 2011

FRAGE: Stört Dich der Begriff „afrikanische Fotografie“?

EBD: – weil die Leute oft fragen: „Gibt es eine afrikanische Fotografie?“ Ich für meinen Teil sage, nein, es gibt keine afrikanische Fotografie. Vielleicht gibt es einen afrikanischen Blick auf eine bestimmte Situation, ganz dem jeweiligen Foto folgend. Wir haben die Fotografie nicht erfunden, wir haben sie von den Weißen geerbt. Jedenfalls kam sie aus der Fremde. Aber in Bezug auf einen afrikanischen Blick, wenn man danach fragt, kann man sagen, ja, es gibt eine afrikanische Fotografie. Weil der Blick eines Afrikaners in einer bestimmten Situation ein anderer ist, als der eines Weißen aus dem Westen.

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MAMADOU GOMIS, Dakar, 2014:

Ich denke, wenn man sich ein Foto anschaut, fragt man sich nicht, welche Nationalität der Fotograf hat. Man fragt sich vielmehr: „Wer hat dieses Foto gemacht?“ Und das ist es, was wichtig ist. Ich glaube nicht an eine afrikanische Fotografie oder eine andere geografisch spezifizierte Fotografie. Es ist einfach nur etwas, das man der Fotografie anhängt.

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AMADOU SOW, Bamako, 2011:

Meiner Ansicht nach gibt es keine Fotografie die speziell afrikanisch, oder europäisch, oder asiatisch ist. Sondern es gibt nur die Fotografie als Ganzes. Man sagt ja, die Kunst ist universell. Und weil die Fotografie eine Kunst ist, heißt das, dass sie auch universell ist.

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DJIBRIL SY, Dakar, 2011:

FRAGE: Wie ist die Beziehung der Fotografie zwischen Senegal und Europa, was denken Sie?

DS: Zu Anfang, war das… die Leute, die nach Europa gingen, ließen sich alle ohne Ausnahme fotografieren. Besonders in Frankreich, weil wir eine französische Kolonie waren. Regelmäßig am Eiffelturm, am Triumphbogen. Auch mein Vater hat das gemacht, der Vater fast jedes Senegalesen oder der Großvater, der Soldat in Frankreich war. Alle haben das gemacht. Gut, das war eine Art zu zeigen, dass man es geschafft hatte, dass man da angekommen war. Eine Propaganda, die nicht so ohne Weiteres Namen oder Dinge benennt. Aber auf jeden Fall hat sich das zwischen den Afrikanern und Europa so abgespielt. Die Fotografie war das Medium dazu. Man hat Frankreich mit diesen Bildern überhöht, die man nach Afrika mitnimmt, die man allen Freunden, allen Verwandten zeigt. Und alle waren da.

Nun ist aber, was von Europa kommt, nicht Afrika. Viele Bilder aus Europa haben uns in Bewegung versetzt, das ist klar. Viele Leute sind losgezogen, um Europa zu erkunden, weil sie die Bilder gesehen haben. Ich sammelte mit meinen Freunden alle Bilder aus Europa, jedenfalls alles, was wir kriegen konnten. Wir konnten dir anhand der Fotos die Straßen von Paris aufsagen, auswendig. Man kleidete sich in einer bestimmten Art und Weise, weil man die Bilder aus Europa sah. Ich erinnere mich, es gab eine Zeitschrift, die sich damals „La Redoute“ nannte. Das war ein Reklameheft, Werbung. Das lief hier sehr gut. Die machten Reklame für Hosen, Schuhe und Kleider. Besonders die senegalesischen Frauen holten sich das, aber auch die Männer. Man sah sich das die ganze Zeit an und träumte von Europa. Das veränderte unsere Gewohnheiten. Alle afrikanischen Frauen haben Perücken, habt Ihr das bemerkt, fast alle. Heute sind die Frauen in traditionellen Gewändern selten – man sieht sie höchstens noch bei großen Festen. Und all das, weil es zuvor die Bilder gab. Das hat also viel verändert, aber die Handelnden, die diese Bilder gemacht haben, das waren Europäer, sie kamen aus Europa.

Wenn ich Bilder von meiner Heimat mache – ich sage absichtlich, Bilder von meiner Heimat, so kann das meine Gesellschaft verändern, sogar in Bezug auf die Darstellung der Arbeit. Man hat den französischen Bauern überhöht, die Bäuerin ist schön. Aber man hat noch nie den afrikanischen Bauern auf seinem Land überhöht, um zu zeigen, dass das tapfer ist, dass das wertvoll ist. Das kann nur ich machen, niemand anderes, weil das meine Kultur ist, das bin ich. Ich will sie überhöhen, Plakate in den Straßen aufhängen, wo man den afrikanischen Bauern mit einem schönen Gemüse zeigt, das er selbst angebaut hat. Bei Euch hat man das gemacht, aber nicht bei uns. Ich bin überzeugt, das kann die Dinge verändern. Das ist unser Ausdrucksmittel hier. Die Plakate können eine Oberfläche bieten, auf der wir uns ausdrücken können.

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OMAR VICTOR DIOP, Dakar, 2014

Meistens kamen die Fotografen nach Afrika, um nach sensationellen Bildern zu jagen. Länder, wie der Senegal, in denen kein Krieg war, interessierten niemanden. Und bis heute ist das so. Und es ist jedenfalls schade, dass es weniger Leute gibt, die sich für das interessieren, was gut läuft und für die Träume, die wahr werden, weil es davon überall sehr viele gibt. […] Ich glaube jedenfalls, dass wir gerade dabei sind uns gegenseitig von einem Kontinent zum anderen zu beeinflussen. Wenn man bestimmte Fotos von Seydou Keïta anschaut, erinnert mich das an einige Bilder von Henri Matisse, und wenn man Matisse anschaut, findet man notwendigerweise auch die afrikanischen Einflüsse.

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FATOUMATA DIABATÉ, Dakar, 2014:

Musiker schöpfen stets aus dem ganzen Repertoire – warum sollten wir Fotografen das nicht auch tun?

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OMAR VICTOR DIOP, Dakar, 2014:

Wenn man von der Vermittlung des kollektiven Gedächtnisses spricht, denkt man oft an mündliche Überlieferung. Es stimmt, die mündliche Vermittlung ist die wichtigste Quelle und das bedeutendste Medium. Dabei vergisst man aber, dass man ab dem 19. Jh. auch visuelle Quellen hatte: Zuerst die koloniale Fotografie und später Fotos von afrikanischen Fotografen. Ich denke, in fast jedem Haus findet man ein Album, einen fotografischen Schatz. Das ist eine großartige Inspirationsquelle und ein Schatz den man sich zu Nutze machen sollte, aus dem man schöpfen sollte. Die Fotografie entwickelt sich weiter, die Technologie ebenso. Warum sollte man das nicht alles im kollektiven Gedächtnis lebendig halten?

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ADAMA SYLLA, Saint-Louis, 2014:

Wissen Sie, Saint-Louis war die meist fotografierte Stadt in Afrika, weil sie die Hauptstadt von drei Ländern war: von Französisch Westafrika, von Mauretanien und vom Senegal. Hier war viel los. Saint-Louis war wie Paris. Wenn ich diesen Vergleich herstelle, dann deswegen, weil es diese Fülle in Saint-Louis gab, die Beamten … Und die Geschäfte liefen gut, es gab Exportwaren, Gold und die verarbeiteten Produkte kamen zurück. … Es gab Frachten des französischen Militärs, französische Geschäftsmänner und die koloniale Verwaltung. Saint-Louis war eine Hauptstadt. Es gab sehr viele Fotografen. Es gab Libanesen, Fotografen aus Martinique und ein paar Afrikaner wie Doudou Diop, Meïssa Gaye, Salla Ca und Alioune Diouf. Außerdem gab es Émile Sursock aus dem Libanon. Es gab Caristan, er kam aus Martinique. … Es gab eine Unterscheidung: Die Afrikaner gingen zu den afrikanischen Fotografen, die Europäer gingen zu den Europäern. Aber die wohlhabenden Afrikaner gingen in die Studios der Franzosen, gemäß den Klassen, gemäß den sozialen Schichten, könnte man sagen. Generell hatten die Afrikaner viele Kunden, weil es die Mehrheit war. Die Leute schwärmten von der Fotografie, weil es etwas war, was man nicht alle Tage sah. Es gab die notwendigen Mittel, um es sich gut gehen zu lassen. Die Leute waren wohlhabend, kleideten sich gut, sie hatten eigene Orchester, organisierten Abendbälle, sie machten Sport. Zwischen den beiden Weltkriegen lebte man in Saint-Louis in Hülle und Fülle. Es gab eine bestimmte Altersklasse, die Geld hatte. Sie hatten die Kaufkraft, und sie vermischten sich. Es gab keine scharfe Rassentrennung. Es gab sie natürlich, aber nur in moderater Form. Die Europäer nahmen hier Frauen und heiraten nach der hiesigen Mode. Hier gab es sehr viele Mischehen, noch heute findet man ihre Familien und Nachfahren. In Saint-Louis waren die Leute gut ausgebildet: Die ersten afrikanischen Abgeordneten des französischen Parlaments kamen 1914, sie waren gemischter Herkunft… Das Bild ist notwendig. Es erlaubt auch die Entwicklung eines Landes. Die Dokumentation ist das Gedächtnis eines Landes, denn das Alltägliche von heute ist die Geschichte von morgen.

 

 

Impressum 

© der Texte bei den Autoren

ISBN: 978 3 934 727 36 6
Begleitheft zur Ausstellung im Stadthaus Ulm „Bamako und Dakar. Westafrikanische Fotografie heute“, 18.9.2014-23.11.2014, Konzeption Bärbel Küster, kuratiert von Wiebke Ratzeburg und Bärbel Küster